Hochbegabung - Der Känguru-Wettbewerb als Diagnose-Instrument
IQ-Tests, die immer noch mit Recht als zuverlässigste Verfahren zur Begabungs-Diagnostik gelten,
sind teuer. Sowohl für die Test-Entwickler, die Objektivität, Reliabilität und Validität ihrer Tests
nur unter hohem Aufwand optimieren können, als auch für die Kunden, die einen solchen Test absolvieren
möchten.
Deshalb stelle ich hier ein kostenloses Diagnose-Instrument vor, das bei Kindern im Alter von 12 bis 13
Jahren (Klassenstufe 7) recht zuverlässige Dienste leisten dürfte: Es sind die 30 Aufgaben des Känguru-
Wettbewerbs 2001 (bei einer Bearbeitungszeit von genau 75 Minuten).
Um es gleich vorweg zu sagen: Der Test misst nach meiner Analyse nur im Bereich oberhalb von IQ 125
(Median 100, Standardabweichung 15) mit brauchbarer Genauigkeit. Mehr dazu weiter unten.
Inwiefern messen die Känguru-Aufgaben Intelligenz?
Obwohl das Känguru vordergründig ein Mathematik-Wettbewerb ist, erfordern die Aufgaben (im Gegensatz
etwa zur Mathematik-Olympiade) an mathematischem Wissen nur Grundkenntnisse, die im Unterricht intensiv trainiert wurden.
Der Erfolg bei diesen Aufgaben ist daher kaum an außerordentliche mathematische Fähigkeiten gekoppelt, sondern gründet
sich vielmehr auf folgende Aspekte allgemeiner Intelligenz:
Fähigkeiten des logischen Schließens
Erfassen des Sinngehalts komplizierter Texte
Kreativität bei der Lösungsfindung
Tatsächlich schnitten sprachbegabte Schüler bei diesen Aufgaben signifikant besser ab als bei Mathematik-Olympiaden,
während umgekehrt die reinen Mathe-Spezialisten die eine oder andere Enttäuschung erlebten.
Einschränkend sei bemerkt, dass es ganz ohne Mathe-Kenntnisse natürlich nicht geht. Einen hochbegabten
"Underachiever", der aufgrund schulischer Leistungs-Verweigerung große Lücken hat, kann das Känguru,
im Gegensatz zu echten IQ-Tests, leider nicht identifizieren.
Die Pluspunkte des Känguru-Tests
Abgesehen davon, dass jeder diesen Test kostenlos online durchführen kann, spricht noch mehr für
das Känguru als Diagnose-Instrument.
Während normale IQ-Tests im Bereich oberhalb von IQ 130 schwierig zu normieren
sind, weil die Datenbasis (die Anzahl der Getesteten) zu klein ist, haben sich am Känguru 2001
ungefähr 15000 Siebentklässler beteiligt, von denen die absolute Mehrheit einen IQ über 120 aufweist
(die meisten sind Gymnasiasten mit einer 1 oder 2 in Mathe).
Wahrscheinlichkeitstheoretische Überlegungen zu Känguru-Ergebnissen
und ebenfalls IQ-korrelierten Schulleistungen von insgesamt 26 Eli-Schülern aus vier Jahrgängen ergeben,
dass man, um den Prozentrang innerhalb der IQ-Verteilung zu ermitteln, das gegenüber den Wettbewerbsteilnehmern
erreichte Perzentil durch einen Faktor von mindestens 10 dividieren muss (dabei wurde vorausgesetzt,
dass die IQ-Verteilung der hiesigen Bevölkerung der bundesweiten entspricht).
Weiter ergibt sich, dass der Test nur bei Punktzahlen über 50 mit vertretbarer Genauigkeit misst.
Dafür hält er diese Genauigkeit bis in hohe Punktzahlbereiche, während ein herkömmlicher IQ-Test
jenseits von IQ 145 überhaupt nichts mehr aussagen kann.
Die Selektivität der Aufgaben erweist sich als so gleichmäßig, dass für den gesamten Messbereich (50 bis 150 Rohpunkte)
der Quotient zwischen IQ-Spanne und zugehöriger Punktspanne nahezu konstant zwischen 0,4 und 0,5 liegt.
Unter der Voraussetzung, dass der Test überhaupt Intelligenz messen kann, dürfte es sich daher beim
Känguru 2001 (Klassenstufe 7) um ein gerade im Bereich von Hochbegabung hervorragend diskriminierendes
Testverfahren handeln.
Und selbst, wenn das alles nicht zutrifft: Die Aufgaben machen eine Menge Spaß, und man muss
sein Ergebnis ja nicht zu ernst nehmen. Vor allem gilt: Wer nervös ist oder an einem schlechten Tag
antritt, schneidet natürlich nicht so gut ab, wie er könnte. Umgekehrt wird aber keiner durch Zufall
ein Traumergebnis erzielen.
Wer bei ein oder zwei Lösungen nur geraten hat, muss sich dafür übrigens keine Punkte
abziehen, denn das haben die Schüler der Vergleichsstichprobe (die Wettbewerbsteilnehmer 2001) höchstwahrscheinlich
auch nicht anders gemacht. Allerdings müssen sich die absoluten Spitzenkönner (über 120 Punkte) der Tatsache bewusst sein,
dass der Zufall ihr Resultat um einige IQ-Punkte verfälschen kann, ganz oben nimmt die Messgenauigkeit auch dieses
Tests natürlich ab.
Also, liebe(r) Siebentklässler(in), bereit für den 75-minütigen Känguru-Test?
Ungefährer Zusammenhang zwischen Känguru-Punktzahl (2001, Klassenstufe 7) und IQ:
Punktzahl (P) |
IQ |
>140 |
>163 |
>130 |
>159 |
>120 |
>154 |
>110 |
>149 |
>100 |
>145 |
>90 |
>140 |
>80 |
>135 |
>70 |
>130 |
>60 |
>126 |
>50 |
>120 |
Wie gesagt, darunter misst der Test nichts mehr.
Und ob ein Schüler mit mehr als 50 Punkten tatsächlich einen IQ über 120 hat,
dafür möchte ich mich auch nicht verbürgen. Aber für eines lege ich meine Hand schon eher ins Feuer,
auch wenn ich einen Beweis natürlich schuldig bleiben muss:
Höchstens 2% aller 12jährigen Deutschen können über 70 Punkte erreichen;
wer das schafft, ist mit großer Wahrscheinlichkeit hochbegabt (nach klassischer Definition).
Übrigens lässt sich der Känguru-Erfolg natürlich trainieren. Wer vor dem Test die
Aufgaben aus den anderen Jahren löst, wird deutlich besser abschneiden.
Das Känguru ist insofern als IQ-Test nicht reliabel, aber wer auf derlei Training verzichtet,
erhält ein durchaus zuverlässiges Mess-Ergebnis für seine allgemeine Intelligenz.
Seinen ungefähren IQ kann man nach dem Test auch mit folgender Formel berechnen:
IQ = 121 + 0,47*(P - 50)
|